News aus den Finanzmärkten

Kein Richtungswechsel nach der deutschen Bundestagswahl erwartet

Dr. Thomas Gitzel · Bernd Hartmann
Lesedauer: 6 Min
Die bevorstehende Bundestagswahl in Deutschland wird von den Parteien gern als Richtungswahl betitelt. Wir glauben hingegen, dass die Themen für die kommende Legislaturperiode schon weitgehend feststehen und die künftige Regierung nur wenig Gestaltungsspielraum hat. Deshalb rechnen wir nicht mit nennenswerten Auswirkungen auf die Finanzmärkte.

So spannend der Ausgang der Bundestagswahl am Sonntag, 26. September auch sein mag, die grossen Themen in der deutschen Politik werden sich nicht grundlegend ändern. Die Problemfelder sind offensichtlich, wichtige Weichen sind gestellt. Damit müssen alle Parteien an denselben Sachthemen arbeiten – der Gestaltungsspielraum ist gering. Offen ist nur noch das Wie. Zu den grössten ressourcenverschlingenden Aufgaben gehören:

  • Das Ende des Stroms aus Kohle bis spätestens 2038 ist beschlossene Sache. Alle Parteien mit Ausnahme der rechten Alternative für Deutschland (AfD) bekennen sich dazu.
  • Alle Parteien verpflichten sich zum beschleunigten Ausbau der digitalen Infrastruktur. Dazu gehört die digitale Aufrüstung der öffentlichen Verwaltung.
  • Die Industrie sieht in der deutschen Bürokratie ein zentrales Geschäftsrisiko. Das zeigen regelmässig Umfragen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Alle Parteien bis auf Die Linke haben dazu in ihren Wahlprogrammen Stellung bezogen und wollen schlankere und effizientere Verwaltungsstrukturen.
  • Die Folgen des demografischen Wandels werden immer offensichtlicher. Pflegekräfte fehlen und die Sozialversicherungssysteme stehen bei Fragen der zukünftigen Finanzierung vor bislang ungelösten Themen.

So ist die Abschaltung der Kohlekraftwerke für das Erreichen der Klimaziele unumgänglich. Im bislang windarmen Jahr 2021 lag der Kohleanteil nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 27 %. Bis in 17 Jahren muss die komplette Stromgewinnung auf alternativen Energien beruhen. Das ist eine so gewaltige Aufgabe, dass viele andere Politikfelder hintenanstehen müssen.

Regierungskonstellationen

Aktuellen Umfragen zufolge liegt die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten und aktuellem Finanzminister Olaf Scholz in Führung. Dabei blicken die Sozialdemokraten auf eine beeindruckende Aufholjagd in den vergangenen Wochen. Auf Platz zwei würden die konservativen Christdemokratischen Parteien CDU/CSU in Union landen, gefolgt von den Grünen, der liberalen FDP und der AfD.

Ein Wahlsieg der SPD ist also wahrscheinlich geworden. Dies wird auch deutlich, wenn Bürger gefragt werden, wen sie direkt zum Kanzler wählen würden. Olaf Scholz kommt dabei laut einer Umfrage der Fernsehsender RTL/n-tv auf 30 % der Stimmen, die Spitzenkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, auf 15 % und der CDU-Kandidat Armin Laschet gerade einmal auf 9 %.

Würde die SPD am 26. September als Sieger hervorgehen, kämen basierend auf aktuellen Umfragen, drei Koalitionen in Frage. Dies wäre ein Bündnis mit den Grünen und der FDP (Ampelkoalition), ein Linksbündnis mit der Linken und den Grünen oder eine Koalition mit CDU/CSU und der FDP.

Aufgrund aktueller Wahlumfragen mögliche Regierungs-bündnisse (Forsa-Umfrage vom 14.09.2021)
Wahlumfragen

Wir erachten die Ampelkoalition als das wahrscheinlichste zukünftige Regierungsbündnis. Scholz schloss einen Linksrutsch mit ihm als Kanzler jüngst aus; ohne dabei allerdings ein Linksbündnis explizit auszuschliessen. Der Kanzlerkandidat ist in der politischen Mitte zu verorten. Gerade deshalb rechnen wir nicht damit, dass es zu einem Bündnis mit den Linken kommt. Dass Scholz dies nicht kategorisch ablehnt, dürfte vor allem am linken Flügel seiner eignen Partei liegen. Fährt die SPD einen Sieg ein, wird der zukünftige Kanzler Scholz klarer seine eigenen Interessen kundtun und sich gegen ein Linksbündnis deutlicher aussprechen. Darüber hinaus gibt es zwischen der SPD und der Linken gerade bei militärischen und aussenpolitischen Fragen nur schwer zu überwindende Hürden. So lehnt die Linke etwa die NATO ab. Zwar signalisierte die Partei hierbei zuletzt eine gewisse Beweglichkeit, um für ein Regierungsbündnis in Frage zu kommen, doch eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben wird ebenfalls abgelehnt. Die SPD plädiert wiederum für eine Modernisierung der Bundeswehr, was auch höhere Rüstungsausgaben nach sich zieht könnte. Ein Linksbündnis ist also auch inhaltlich nur schwer umsetzbar.

Die Möglichkeit einer neuerlichen «Grossen Koalition», also ein Bündnis aus CDU/CSU und SPD, steht auf wackligen Beinen. Basierend auf aktuellen Umfragen, gäbe es theoretisch eine Hauchdünne Mehrheit für eine Neuauflage der «Grossen Koalition». Dieses Bündnis lenkt seit dem Jahr 2013 die Geschicke des Landes und gilt sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung als unbeliebt. Der «Grossen Koalition» haftet die Etikette der Notfalllösung an, weshalb wir nicht von einem erneuten Bündnis ausgehen. Auch eine Erweiterung, also eine Regierungsbildung zusammen mit CDU/CSU und der FDP dürfte bei der SPD auf wenig Gegenliebe stossen, da dies aufgrund des verhältnismässig geringen Stimmanteils der FDP zu sehr einer «Grossen Koalition» ähnelt. Zu sehr haftet solch einer Koalition ebenfalls das Image der Notfalllösung an. Eine «Grosse Koalition plus», also unter Einschluss der FDP, gehört deshalb nicht zu den bevorzugten Bündnissen der Kanzlerkandidaten. Ähnliches gilt für die sogenannte «Deutschland Koalition», also eine Koalition aus SPD, CDU/CSU und Grünen. Auch hier dürfte wieder die Assoziation mit der «Grossen Koalition» zu stark sein.

Eine Regierungsbildung der CDU/CSU an einem etwaigen Wahlgewinner SPD vorbei, erachten wir nur dann als wahrscheinliches Szenario, wenn es den Sozialdemokraten nicht gelingt, ein Bündnis zu schmieden. In diesem Fall könnten die Unionsparteien eine Jamaika-Koalition anstreben und die Grünen und die FDP ins Boot holen.

Auswirkungen auf die Finanzmärkte

Da eine Grosszahl von Sachthemen vorgegeben ist, vor allem die Energiewende und der beschleunigte Ausbau der digitalen Infrastruktur, rechnen wir nicht mit abrupten Kurswechseln in der deutschen Politik. Einzig bei einem Linksbündnis müsste mit einem deutlicheren Bruch gerechnet werden. Dies hätte wohl eine deutliche Ausweitung der Staatsquote zur Folge, würde mehr Regulation für Unternehmen und Finanzmärkte und eine Ausweitung der Staatsschulden bedeuten. Gerade letzteres könnte auch Konflikte mit der EU bedeuten. Dies könnte den Weg zu einer Vergemeinschaftung von Schulden (der sogenannten «Schuldenunion») ebnen und den Euro destabilisieren.

Kommen jedoch die Linken nicht zum Handkuss, dürfte der Ausgang der Bundestagswahl keinen nennenswerten Einfluss auf die Finanzmärkte haben. Die Themen sind festgezurrt, der steuerpolitische Spielraum aufgrund der pandemiebedingten Schuldenanstiegs ist gering und sämtliche für eine Regierung in Frage kommenden Parteien bekennen sich zu Europa und dem Euro.

Fazit

Kaum eine Regierung zuvor hat je solch ein dickes Lastenheft mit auf den Weg bekommen. Die Finalisierung der Energiewende, die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, aber auch die Folgen des demografischen Wandels werden die neue Regierung beschäftigen. Die Aufgaben lassen sich nicht aufschieben, die Ziele sind gesetzt. Andere Themenakzentuierungen sind deshalb kaum möglich. Damit wird die deutsche Politik nicht vor einem Bruch stehen. Allerdings: Die EU verliert mit Angela Merkel eine Schlichterin. Konflikte müssen wohl zukünftig mehr im Gespann Deutschland und Frankreich gelöst werden. Für die Finanzmärkte rechnen wir mit kaum nennenswerten Auswirkungen der Wahl.

 

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