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Neue Eskalation in Brexit-Verhandlungen

Dr. Thomas Gitzel, Chief Economist
Lesedauer: 4 Min
Es ist die achte Verhandlungsrunde über ein Handelsabkommen zwischen der EU und Grossbritannien für die Zeit nach der Scheidung. Schon die bisherigen Gespräche verliefen schwierig. Jetzt provoziert Boris Johnson mit einem heiklen Gesetzesentwurf das europäische Festland.

Nachdem zum Jahresende 2019 ein Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich mit der EU abgeschlossen wurde, geht es derzeit um die zukünftigen Beziehungen. Vorerst gilt eine Übergangsphase bis Jahresende, in der Grossbritannien noch Teil des EU-Binnenmarktes ist. Grossbritannien soll auch danach ein weitgehend freier Handelszugang zum Binnenmarkt gewährt werden. Allerdings erwartet Brüssel, dass dabei mit gleich langen Spiessen hantiert wird. London muss dazu die Umweltauflagen und Sozialstandards der EU erfüllen. Dem britischen Premierminister Boris Johnson ist dies ein Dorn im Auge, bedeutet dies nach seiner Auslegung, dass sein Land nach wie vor an den Ketten der Europäischen Union hängt.

Da die Übergangsphase nur bis Jahresende läuft, drängt die Zeit. Möglicherweise ist dies der Grund weshalb Johnson nun mit einem umstrittenen Gesetzesentwurf aufwartet. Vermutlich möchte er die andere Verhandlungsseite so zum rascheren Einlenken zwingen. Konkret geht es um das sogenannte «Binnenmarkt-Gesetz», das nun dem britischen Parlament als Entwurf vorliegt.

Johnson provoziert

Der Gesetzesentwurf hebelt das Austrittsabkommen Grossbritanniens mit der EU stellenweise wieder aus. Der Brexit-Deal sieht vor, dass eine harte Grenze auf der irischen Insel vermieden werden soll. Die Zollgrenze soll stattdessen in der Irischen See liegen, also zwischen Nordirland und England, Wales und Schottland. Jetzt möchte der Regierungschef aber mittels seines Gesetzes das Zepter in die Hand nehmen. Wie und wer den Güterverkehr über die irische See kontrolliert und welche Zollformulare auszufüllen sind, würde demnach London bestimmen.

Das Gesetz wäre de facto ein Vertragsbruch. Damit stünde auch das Austrittsabkommen zur Disposition. Noch handelt es sich aber um einen Entwurf. Für die EU ist es dennoch eine Provokation. Würde das Gesetz so angenommen, kann man davon ausgehen, dass sich ein harter Brexit kaum noch abwenden lassen würde.

Wie weiter?

Noch sieht unser Hauptszenario vor, dass Grossbritannien auch zukünftig einen Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben wird. Das wäre für beide Seiten des Ärmelkanals die ökonomisch rationalste Entscheidung. Wir wollen an dieser Stelle aber anfügen, dass uns die Person Boris Johnson zunehmend zweifeln lässt, ob tatsächlich ein Folgeabkommen mit der EU gewünscht ist.

Die Entscheidungen des Premierministers erscheinen häufig abrupt und unkontrollierbar. Nicht selten verkehrt er getroffene Entscheidungen innerhalb kurzer Zeit ins Gegenteil - wie der jüngste Entwurf zum Binnenmarkt-gesetz zeigt. Der EU könnte so der Geduldsfaden reissen.

Soviel steht fest: Je näher das Jahresende rückt, desto aufgeheizter wird die Stimmung. Keine Seite möchte vorzeitig einknicken. Es läuft deshalb erneut auf eine Entscheidung in letzter Sekunde hinaus. Auf Sicht der kommenden Wochen wird die Eskalation deshalb zunehmen.

Was das für das Pfund heisst

Kommt es zu einer gütlichen Einigung zwischen den beiden Seiten, rechnen wir mit deutlichen Kurszuwächsen des Pfunds gegenüber dem US-Dollar – aber auch gegenüber dem Euro. Das Pfund dürfte sich in diesem Falle rasch in Richtung der Marke von 1.40 zum Greenback aufmachen.

Ein harter Brexit hingegen hätte nicht nur für das Pfund sondern auch für den Euro negative Konsequenzen. Beide Währungen müssten dann deutliche Kursverluste gegenüber dem Dollar verbuchen. In Anbetracht der zu erwartenden grösseren wirtschaftlichen Schäden Grossbritanniens im Verhältnis zur EU würde die britische Valuta dabei deutlicher nachgeben. Die gewissermassen vorprogrammierten schwierigen Restverhandlungen werden zunächst aber in den Herbstmonaten zu einer Berg- und Talfahrt des Pfund führen.

 

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